Journal: Gekrönte Häupter


Schwer ruht das Haupt, das eine Krone trägt!


Vieles, das Österreich einst so groß machte ist verschwunden. Menschen, die sich großer Beliebtheit erfreuten sind gegangen.

Vieles wurde vergessen, selbst manche Orte sind verschwunden und manchmal sogar dem Grauen zum Opfer gefallen. Es ist seltsam, wie selektiv sich Menschen erinnern. Welche Menschen behalten wir im Gedächtnis, wessen Antlitz verliert sich in den Winkeln unseres Geistes? Wie viel kann die Zeit überdauern?

 

1937 verschwand die Wiener Rotunde vom Antlitz der Stadt. Ein Gebäude, das einmal eines der beeindruckendsten der Welt gewesen war. Mit einem Durchmesser von 108 Metern war die Wiener Rotunde zur damaligen Zeit die größte Kuppel der Welt. Der Brand vom 17. September verschluckte ein Überbleibsel und architektonisches Meisterwerk der Donaumonarchie und einen der Austragungsorte der Wiener Weltausstellung 1873.

Im Jahr 1892 war die Wiener Rotunde stummer Zeuge einer anderen Begegnung im Rahmen der „Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen“.Es begegneten sich zwei Menschen die maßgeblich die Welt veränderten.

  Rotunde 1892 / Foto: APA

 

Der Eine veränderte die Landkarte Europas, der Andere prägte die Welt der Musik und für einen Moment standen beide sich unmittelbar gegenüber und die Welt hielt inne, wenn auch nur für einen Lidschlag der Geschichte. Oft sind es glückliche Fügungen, wenn solche Momente gebannt werden, wie in diesem Fall auf einem Bild ...

 

Ludwig legt die Finger sanft auf die Tasten. Er will sein Instrument erklingen lassen. Es soll für Ihn sprechen, soll seine eigene Geschichte erzählen. Es macht keinen Sinn Musik zu erklären, schon gar nicht den Klang, den zu perfektionieren er versucht. Es tritt ihm Schweiß auf die Stirn, der eng sitzende Frack zwingt ihn Haltung zu bewahren. Ludwig kann sich nicht entscheiden, welches Stück er zum Besten geben soll, denn wie wählt man aus einem Meer von Tönen den richtigen aus? Doch noch bevor er einen klaren Gedanken fassen kann, übernehmen seine Finger die Arbeit. Er ist weder Komponist noch Pianist, jedoch versteht er die Welt der Töne und der Klänge besser als jeder andere und so wird er zu einem Passagier seiner eigenen Handlung, während die einzelnen Töne sich zu formen beginnen und ein Farbenspiel der Musik den Korpus des Flügels verlässt.

Sein Gegenüber lächelt kaum merklich, das Lächeln huscht nur kurz über sein Antlitz, denn auch er muss Haltung wahren.

 

Default Alt-Tag

Ludwig Bösendorfer spielt für Kaiser Franz Josph I, 1892

Ludwig konzentriert sich auf sein Spiel, er will den Oktavumfang seiner Schöpfung deutlich machen und so greift er in die Bässe. Nun ist es Ludwig der lächelt, denn er erkennt, dass seine Schöpfung Wirkung zeigt. Die Anwesenden sehen sich vom Klang ergriffen. Niemand spricht. Das Stimmengewirr der Besucher scheint verklungen, denn in diesem Moment herrscht nur Musik, keine Politik, keine Regentschaft. In diesem Augenblick existiert nur noch das unendliche Universum der Musik, das Ludwig an den meisten Tagen ruft. Unaufhörlich ist er der Taktgeber seines Handelns, das ihn vorwärts treibt in seinem Bestreben nach Perfektion. Und als sein letzter Ton verklungen ist katapultiert er die Anwesenden zurück in die Gegenwart. Für einen Bruchteil ist es still. Alle Augen richten sich nun auf den bärtigen Mann der seine Hand auf den Flügel gelegt hat und dem das Spiel gewidmet war.

 

Als Bösendorfer anfing zu spielen, legt Franz Joseph seine Hand auf den Korpus des Flügels. Er muss Haltung bewahren und er ist froh, dass seine eng sitzende Uniform ihm dabei hilft. Der militärische Drill war auch hierfür förderlich. Er versucht das aufkeimende Lächeln so gut es geht zu unterdrücken. Zu gut kennt er den unverwechselbaren Klang, den er in seinen eigenen Räumlichkeiten schon so oft vernommen hat, genau wie in der Villa Schratt. Es ist der Klang der ihn so fasziniert, die wohl geordneten Tonbahnen der Oktaven. Bösendorfer versteht es Basstöne zu schaffen, die ein angenehmes Grollen in der Magengegend erzeugen. Wieder unterdrückt er ein Lächeln. Er hat den Wunsch die Augen zu schließen, doch er darf sich keine Blöße geben. Für einen kurzen Moment kann er die Freiheit spüren die der Musik zu Grunde liegt. Und in dieser Freiheit kann er auch Bösendorfer spüren, nimmt dessen Geist in sich auf, das Streben nach Größe und nach Perfektion. Franz Joseph vergisst für einen knappen Moment wer er ist, ein Geschenk, das es er würdigen weiß.  Als der letzte Ton verklungen ist, ist er ganz er selbst und sich seiner Bürde der Regentschaft wieder bewusst.

Alle Anwesenden richten nun die Blicke auf den Kaiser. Wie wird sein Urteil ausfallen, wie seine Reaktion? Der Kaiser setzt an, stoppt wieder ab und lässt es sich dann doch nicht nehmen: „Vortrefflich, Bösendorfer, ganz vortrefflich!“

 

Default Alt-Tag

Der Platz der Rotunde 2018 / Foto: Roland Pohl

Auszug aus dem „Wiener Salonblatt vom 10.7.1892:

Ludwig Bösendorfer und sein Riesenflügel.

Zu den hervorragendsten und zugkräftigsten Details Expositionen der Theater- und Musikausstellung gehört unstreitig die unseres berühmten Clavier Industriellen Ludwig Bösendorfer’s. Es hiesse wirklich Eulen nach Athen tragen, wollte man die Bedeutung Bösendorfer’s und seines Etablissements auseinandersetzen: Der Klang dieses Namens tönt seit langen Jahren siegreich durch die Welt zur Ehre und zum Ruhme der österreichischen, der Wiener Kunstindustrie. Wohl aber verdiente die Exposition Bösendorfer’s in der Rotunde verstärkteste Aufmerksamkeit, denn sie bietet Neues und Überraschendes.

Die Bösendorfer’sche Expositionsgruppe lenkt schon durch die systematische Harmonie des Arrangements die Aufmerksamkeit des Beschauers auf sich, indem sie den Übergang vom kleinsten zum grössten Format des Instrumentes darstellt, neben dem Miniaturflügel den Riesenflügel zeigt. Den Übergang vermittelt ein prächtiger Stutzflügel in Mahagony mit Gold im Style Louis Quinze. 

Der Mignonflügel ist reizend in Mattweiss mit Gravierungen in Gold ausgeführt und zeigt den Typus der sogenannten Wiener Construction. Die pièce de resistance der Ausstellung repräsentiert aber der zwischen Stutz und Miniatur seine mächtigen Formen zeigende grosse Concertflügel mit ganz neuer Construction, mit einem Saitenbezug von 8 3/4 und Tasten von 7 3/4 Octaven. 

Diese neueste Schöpfung Bösendorfer’s erregt in hervorragender Weise das Interesse sowohl der Clavier-Fabrikanten als der ausübenden Künstler, mit einem Worte, aller Fachleute, von denen übereinstimmend die neue Construction dieses Instrumentes als das gelungendste bezeichnet wird, was bisher überhaupt auf dem Gebiete der Clavierbaues geleistet worden sei. Die Eigenart und der charakteristische Vorzug der neuen Construction liegt nicht allein in der bedeutenden Verstärkung des Tones gegenüber den bisherigen Instrumenten, einer Verstärkung, durch welche sich der neue Concertflügel namentlich für grosse Säle und Orchester-Produktionen bewähren dürfte (thatsächlich erwies sich der Flügel, als er vor einigen Tagen in der Rotunde placiert und probiert wurde, selbst, in diesem Riesenraume von so mächtiger Wirkung, dass sofort das Project gemacht wurde, demnächst das Instrument an dieser Stelle, in der Rotunde selbst, von grossen Clavierkünstlern spielen zu lassen) - sondern auch der Gesang und die Klangfarbe des neuen Instrumentes sind von bestechendem Zauber.

Default Alt-Tag
Default Alt-Tag

                                                     ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

Die neueste Sensationsschöpfung Ludwig Bösendorfer’s, welcher die populäre Bezeichnung “Bösendorfer’s Riesenflügel” zu theil geworden ist, hat auch die vollste Anerkennung und das leibhaftige Interesse Sr. Majestät der Kaisers gefunden, höchstwelcher bei dem Besuche der Aussteller Herrn Bösendorfer durch die schmeichelhafte Aufforderung auszeichnete, auf dem neuen Instrumente vor dem Monarchen zu spielen. Der Kaiser äusserte sich in huldvollsten und gnädigen Worten über die neue Schöpfung und sprach Herrn Bösendorfer allerhöchst seinen Glückwunsch zu dieser neuesten Meisterleistung seines Etablissements aus. 

Auch als einige Tage später Ihre k. u. k. Hoheit, die Frau Kronprinzessin-Witwe Stefanie die Ausstellung besichtigte, musste Herr Bösendorfer auf dem “Riesenflügel” der hohen Frau vorspielen, welche sich gleichfalls in anerkennendster Weise über das neue Instrument aussprach und Herrn Bösendorfer fragte, ob der neue Riesenflügel auch bald in Concerten zur Verwendung gelangen werde - und dann den lebhaften Wunsch äusserte, Herrn Alfred Grünfeld auf dem neuen Instrumente spielen zu hören. Einige Tage darauf beeilte sich unser ausgezeichneter Künstler, dem Wunsche der Frau Kronprinzessin-Witwe zu entsprechen und erzielte auf dem neuen Instrumente geradezu sensationelle Effekte, die von der hohen Zuhörerin mit wärmsten Lobe gewürdigt wurden. Die Frau Kronprinzessin-Witwe gratulierte Herrn Bösendorfer in huldvollster Weise zur Schaffung dieses neuen Instruments, auf welchem die Vorzüge des Bösendorfer’schen Systems und die Meisterschaft des Claviervirtuosen zu vollster Geltung zu gelangen vermöchten.

So hat Herr Bösendorfer für seine neue Schöpfung allseitigste, wohlverdienteste Anerkennung gefunden. Auch wir erlauben uns, dem berühmten Landsmanne, der die österreichische Kunstindustrie zu tönendsten Ehren gebracht, unsere herzlichen Glückwünsche zu seinen neuesten Erfolgen, zu seiner neuesten Hervorbringung auszusprechen - einer Hervorbringung, durch die sich der grosse Kunst-Industrielle nach dem Urtheil aller Fachleute an die Spitze der Clavier-Industrie in aller Welt gestellt hat. Der Volksmund hat das neue Instrument - wie bereits erwähnt - den “Riesenflügel” getauft. 

Der “Riesenflügel” vermag die Popularität Ludwig Bösendorfers nicht zu vermehren - denn der Name kann überhaupt nicht mehr populärer werden, als er schon seit Jahren ist - aber er wird, von dieser Popularität getragen, seinen tönendsten Ruhmesweg durch die Welt antreten. Wenn man übrigens von der Popularität spricht, deren sich Ludwig Bösendorfer in Wien und bei den Wienern erfreut, so muss doch bemerkt werden, dass neben dem grossen Kunstindustriellen auch die Persönlichkeit Bösendorfers an und für sich nicht den geringsten Theil hat an dieser Popularität. Die Bescheidenheit, Einfachheit und Liebenswürdigkeit dieses ausgezeichneten Menschen haben ihm beinahe so viel Freunde gemacht, als ihm seine Meisterschaft auf dem Gebiete der Clavierindustrie Bewunderer geschaffen hat. 

Und noch ein Umstand hat zur Popularisierung des Namens und der Persönlichkeit Ludwig Bösendorfers nicht wenig beigetragen - seine leidenschaftliche Vorliebe für den Fahr- und Reit- und Rennsport. Bösendorfer ist der Wiener Sport-Enthusiast par excellence - bei jedem Wetter steht er auf dem Rennplatze, zu dessen typischen Erscheinungen der schlanke Mann mit dem grauweissen Kopf, dem gutmütig-sarkastischen Lächeln auf den Lippen, dem unvermeidlichen gelben Überzieher und dem unvermeidlichen Stötzer gehört. Und wer kennt Bösendorfer nicht als fermen Viererzug-Lenker - der ziemlich harte Unfall, der ihm vor einiger Zeit passierte und ihn auf’s Krankenbett warf, war nicht im Stande, ihm das “Gusto” am Sport und am Fahren, seine “einzige Passion”, zu verleiden - nach wie vor kutschiert er “fesch und ferm” durch die Hauptallee, unser lieber Ludwig Bösendorfer, der Meister vom Clavierbau und vom Zügel, ein Österreicher, ein Wiener, wie nicht leicht ein Besserer zu finden und auf den alle Österreicher und Wiener mit Fug und Recht stolz sein dürfen.